Mythos Klimawandel? Der Fluch der Statistik am Beispiel Passivrauchen

Nein, Moderne Mythen werden nicht absichtlich, als Teil einer umfassenden Verschwörung, in die Welt gesetzt. Sie entstehen von selbst und breiten sich mit viraler Potenz in Gesellschaften aus. Zu den Antreibern, den Infektionsherden, zählen dabei natürlich Politiker, die sich auf diese Weise Wählerzuspruch sichern wollen, die Industrie, die auf diese Weise Märkte schafft und Bedürfnisse weckt, wo keine sind, und die Medien, die immer verzweifelter eigene Themen setzen müssen, um im Kampf um Aufmerksamkeit nicht unterzugehen.

Diese Gruppen bedienen sich alle einer besonderen Klientel von Zeitgenossen, nämlich gelangweilten Menschen, die sonst keine Aufgabe haben, und selbst den größten Mist als kreuzzugstauglich erachten. Es sind diese Mitglieder der Freizeitgesellschaft, die sich intensiv in Umwelt- und anderen Verbänden und Organisationen engagieren können und dadurch ehrenamtlich mit teils erheblichem Fanatismus ihre eigene Bußfertigkeit anderen aufzwingen können.

Es ist dabei ein wesentliches Merkmal Moderner Mythen, daß sie auf scheinbar gesicherter wissenschaftlicher Grundlage stehen, das macht sie ja in einer fortgeschrittenen Gesellschaft so attraktiv (religiös-esoterische Grundlagen sprechen heutzutage nur noch Minderheiten an, diese sind zwar lautstark, werden aber – anders als zu vorindustriellen Zeiten – nicht mehr wirklich als Instanzen akzeptiert).

Die scheinbare wissenschaftlich gesicherte Grundlage hat dabei immer zwei Merkmale:

1. einen logischen („dem gesunden Menschenverstand folgenden“) und offensichtlichen Wirkungszusammenhang

2. einen statistischen Beleg für das Auftreten dieses Wirkungszusammenhangs

Jede diese Bedingungen für sich genommen ist nur notwendig, hinreichend für einen Modernen Mythos ist immer das Auftreten beider Tatsachen.

Ein beliebtes Beispiel für Punkt 2 ist dabei die statistische Tatsache, daß in Gegenden mit mehr ansässigen Störchen auch mehr Kinder geboren werden. Da aber in diesem Fall der logische Zusammenhang fehlt, war nie das Potential für einen Modernen Mythos gegeben.

Das Standardbeispiel für Punkt 1 ist die Legende vom gefoulten Fußballspieler, der niemals selbst den Elfmeter treten sollte (denn er ist ja offensichtlich beeinträchtigt). Nun, in diesem Fall sagt die Statistik etwas völlig anderes, so daß wiederum kein wirkliches Mythenpotential entstanden ist.

Wie Moderne Mythen wirklich entstehen, läßt sich an einem Beispiel wunderbar erläutern: der mutmaßlichen Gesundheitsgefahr des Passivrauchens. Wer mit dem Rauchen aufhören schon mal wollte, weiss was wie meinen.

Im Jahr 2005 veröffentlichte das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ – eine scheinbar über jeden Zweifel erhabene Speerspitze der Anti-Raucher-Debatte) eine seitdem ständig zitierte Studie. Dieser Ausarbeitung zufolge sterben in Deutschland pro Jahr 3.301 Menschen an  den Folgen des Passivrauchens.

Interessante Aussage. Es sind also nicht 3.000 oder gar 4.000, es sind exakt 3.301 Personen. Das suggeriert, die Forscher hätten alle deutschen Leichen (so 800.000 bis 900.000 pro Jahr) detailliert untersucht (exhumiert, autopsiert, umfassende Interviews mit Freunden und Verwandten zu den Lebensumständen geführt), um die genaue Zahl zu ermitteln. 3.301 suggeriert dem unbefangenen Leser sogleich eine besondere wissenschaftliche Güte, eine besondere Exaktheit der Studie.

Das ist natürlich völliger Quatsch. Nein, in Wahrheit wurden lediglich eine Reihe statistischer Zusammenhänge a la „Störche und Geburtenrate“ geschickt miteinander verkoppelt.

So ist ja bekannt, daß Lungenkrebs häufig bei Rauchern auftritt. Es gibt sogar einen klaren, auch von mir nicht bezweifelten Wirkungszusammenhang zwischen den Inhaltsstoffen einer Zigarette und dem Lungenkrebs. Ja, Tabak kann Lungenkrebs auslösen, daran ist nicht zu zweifeln. Ja, eine einzige Zigarette kann Lungenkrebs auslösen (wenn auch mit sehr, sehr geringer Wahrscheinlichkeit).

Man muß allerdings konstatieren, daß Lungenkrebs eine eher seltene Krankheit ist. 90% der Raucher erkranken nicht an ihr.

Trotzdem wurden alle Lungenkrebsfälle bei Nichtrauchern in dieser Studie den Folgen des Passivrauchens zugewiesen. Obwohl man in der Wissenschaft mittlerweile weiß, daß auch andere Stoffe und nicht zuletzt genetische Dispositionen Lungenkrebs auslösen können.

Bei den Herz-Kreislauferkrankungen (eine breite Spanne von möglichen Diagnosen) geht das DKFZ in der Studie ähnlich vor, und gelangt zu dem fantastisch genauen Wert von 2.148 Todesfällen pro Jahr, bei denen die Herz-Kreislauferkrankung erstens die Todesursache und zweitens die Folge von Passivrauchen ist.

Was bleibt, ist die Tatsache, daß die 3.301 Todesfälle nicht mehr als eine metastatistische Angabe darstellen, ein grober Schätzwert, der lediglich auf vereinfachten Annahmen beruht, und dessen fehlende Fehlerangabe („3.301 +/- x“) deutlich darauf hinweist, daß hier nicht Wissenschaft, sondern politische Agitation den Kugelschreiber geführt hat.

Übrigens:

  • 2.108 (ca. 64%) der 3.301 Todesfälle in diesem Papier ereigneten sich nach dem 75. Lebensjahr.
  • Das statistische Bundesamt ermittelt für die Sterberate von Menschen im Alter zwischen 65 und 85 einen Wert von 53%.
  • Für die Passivraucher im Alter zwischen 65 und 85 ergibt die DKFZ-Studie ebenfalls eine Sterberate von 53%.

Ich könnte daraus locker folgern, daß Passivraucher offensichtlich nicht häufiger früher sterben, als die Gesamtbevölkerung und daß Passivrauchen damit völlig ungefährlich ist. Ich hoffe, Sie erkennen den Mechanismus: Dieselben Zahlen, ein anderer Blickwinkel -> ein völlig entgegengesetztes Resultat.

Man muß sich am Ende auch noch fragen, wie das DKFZ eigentlich einen Passivraucher definiert. Und das ist der Hammer:

„Ein Passivraucher ist jemand, der sich tagsüber oder abends häufiger in Räumen aufhält, in denen geraucht wird.“

Da lacht der Wissenschaftler und Laie sollte beginnen, sich zu wundern. Weder wird „häufiger“ definiert, noch die Größe der Räume (und deren Lüftungssituation), noch die Menge dessen, was da jeweils genau geraucht wird. Daß es sich hier nicht um exakte Wissenschaft handeln kann, sollte doch klar sein.

Aber es ist eben so bestechend einfach und logisch, was das DKFZ da schreibt. Rauchen ist irgendwie „gesundheitsgefährdend“ (was ist eigentlich die „Gesundheit“?), also ist es Passivrauchen auch.

Nun ja, mehrere hundert verschiedene Stoffe entstehen bei der Verbrennung von Tabak, diese verteilen sich in nicht berechenbarer Weise (Turbulenz, chaotische Strömungen) in einer Vielfalt möglicher Umgebungen. Sie werden eingeatmet, klar, aber in unterschiedlichsten Konzentrationen. Und dann wissen wir bei den meisten Inhaltsstoffen nicht mal genau, wie diese durch den Körper (der ebenfalls ein unglaublich komplexes Gebilde mit unglaublich komplexen Prozessen darstellt) aufgenommen und verarbeitet werden.

Die meisten der im Zigarettenrauch enthaltenen Gefahrstoffe sind übrigens bereits anderweitig erfaßt. Es handelt sich schlicht um chemische Verbindungen, für die Grenzwerte in der Arbeitsschutzverordnung, in der Gefahrgutverordnung und anderen gesetzlichen Regelwerken vorgegeben werden. Diese gesetzlichen Grenzwerte sind weitaus höher als die Konzentrationen, die in einer Kneipe mit rauchenden Gästen jemals erreicht werden könnten.

Die Welt ist komplex, ob Klima, ob Rauchen, ob alle möglichen anderen Prozesse. Diese Komplexität (und die dahintersteckende Dynamik der Vorgänge) können wir nicht erfassen. Deswegen lieben wir Moderne Mythen. Sie machen – scheinbar – Komplexität ganz einfach. Daß das nicht funktionieren kann, ohne die Realität grob zu verfälschen, sollte klar sein. Wir müssen lernen, Komplexität hinzunehmen und lernen, unsere Unwissenheit zu akzeptieren.

Und dies bedeutet, wann immer Sie auf eine Aussage treffen, die einerseits einfach und logisch erscheint, und andererseits statistisch belegt werden kann, seien Sie mehr als skeptisch: Es gibt keine Vorgänge in der Realität, die sich auf diese Weise erfassen lassen. Jede gegenteilige Aussage ist – einfach und kurz – eine Lüge, ein Moderner Mythos.

P.S.: Als Ergänzung hierzu noch die Aussage des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages aus dem Jahr 2006 (Dokumentation WF IX G – 147/06)

„Aus der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes lässt sich die

Zahl von 3.300 jährlichen Todesfällen durch Passivrauchen bedingt nicht ableiten.

[…]

Festzuhalten bleibt, dass es sich bei den Berichten um Schätzungen und Hochrechnungen handelt. Valide statistische Daten stehen nicht zur Verfügung, da diese Todesursachen im Rahmen der amtlichen Statistik nicht erhoben werden.“

(Ausarbeitung WD 6 – 3000 – 175/06, Deutscher Bundestag, 2006)